Ortsfeuerwehr Ritterhude: Seit 100 Jahren riskieren die Retter Leib und Leben ehrenamtlich für andere
Ritterhude. Wo denn die Rutschstange sei? „Diese Frage bekommen wir oft von Schülern gestellt“, sagt Oliver Korte, stellvertretender Ortsbrandmeister der Schwerpunkt-Feuerwehr Ritterhude. Sie würden doch im Obergeschoss schlafen, wie sie denn bei Alarm ohne Stange schnell zu den Fahrzeugen kämen? Diesem Irrtum sind – wie sie bei Einsätzen immer wieder merkten – nicht nur viele Schüler aufgesessen. „Wir schlafen zu Hause, erklären wir dann; wir sind ja keine Berufs-, sondern eine Freiwillige Feuerwehr“, sagt Korte. Und deren Gründung jährt sich an diesem Donnerstag, 13. Juli, zum hundertsten Mal.
„Friedrich Flügger hatte damals die Idee“, erzählt Michael Lieckfeldt. Der Pressesprecher der Ritterhuder Feuerwehr hat die Fakten für die 100-Jahrs-Chronik zusammengetragen. Flügger gehörte zu einer Schar Schlagballspieler, die am 8. April 1923 in der Riesturnhalle trainierte. Als die Spieler mitbekamen, dass am Neustadtsweg drei Gebäude brannten, eilten sie zur Hilfe. Aber die beiden Wohnhäuser von Arend Reschen und Dierk Meyer waren verloren und das von Johann Schumacher war beschädigt. Flügger habe daraufhin vorgeschlagen, eine Turner-Feuerwehr zu gründen.
Bei der für den 13. Juli einberufenen Versammlung setzte sich jedoch der damalige Gemeindevorsteher Christian Evers durch. Er wollte eine Feuerwehr aus Mitgliedern, die in Ritterhude arbeiteten; eine, die nicht nur aus Turnern bestand. 31 Teilnehmer waren zur Versammlung gekommen. 31 traten der Feuerwehr bei. „Sie sind alle direkt verhaftet worden“, schmunzelt Ritterhudes Ortsbrandmeister Klaus Wywianka. Es war die erste Feuerwehr ihrer Art innerhalb der Grenzen der heutigen Gemeinde Ritterhude. Zehn Tage nach der Gründung, als sich die Brandschützer mit ihrem Hauptmann J. H. Schnaars am Spritzenhaus trafen, um Material und Geräte zu prüfen, kam die Wehr schon auf 32 Mitglieder.
Plus minus 50 aktive Mitglieder zählt die Ritterhuder Ortsfeuerwehr 100 Jahre später. Darunter acht Frauen. Die ersten waren in den 1990er-Jahren eingetreten. Allerdings gab es in Ritterhude während des Zweiten Weltkriegs bereits eine Frauen-Feuerwehr, die für die Männer einsprang, die an der Front waren, erzählt Lieckfeldt. Diese Gruppe sei erstmals am 7. Januar 1943 zusammen mit der 1939 eingeführten Pflicht- und der H.-J.-Feuerwehr zu einem Brand auf dem Eickhof Geils-Lindemann geeilt, ist in der Chronik notiert. Heute haben die Ritterhuder auch eine Jugendfeuerwehr. Sie wurde vor 49 Jahren gegründet und hat aktuell 25 Mitglieder. „Eine Kinderfeuerwehr gibt es ebenfalls“, sagt Klaus Wywianka. Aber nicht auf Orts-, sondern auf Gemeindeebene.
Vieles hat sich über die Jahrzehnte geändert. Immer mehr technisches Gerät ist hinzugekommen und auch die Feuerwehrfahrzeuge sind mit den Anforderungen und der Ausstattung größer geworden, sodass die alten Feuerwehrhäuser aus allen Nähten platzen und neue gebaut werden müssen. Ein weiterer Grund sind die heutigen Sicherheitsvorgaben an die Wehren, für die Platz benötigt wird. Die Ortsfeuerwehr Ritterhude selbst ist 1950/51 zunächst an die Riesstraße gezogen. Von dort ging es an den heutigen Standort an der Stendorfer Straße. „Das war im Sommer 2000“, erzählt Wywianka. Im ehemaligen Feuerwehrhaus ist inzwischen die Gemeindebücherei untergebracht.
Außerdem stellt die Verwendung neuer Materialien beim Bau und der Produktion von Möbeln, Teppichen und vielem mehr heutzutage die Feuerwehrleute vor andere Herausforderungen, als noch ihre Vorgänger. E-Mobilität und Fotovoltaikanlagen sind nur zwei Beispiele. „Die Aufgaben haben sich sehr gewandelt“, nickt Wywianka. Und neue Aufgaben, wie Hilfeleistungen für den Rettungsdienst, sind hinzugekommen.
Die Helfer müssen daher immer mehr Lehrgänge besuchen. Etwa um unterschiedliche Gase bereits an der Farbe und der Art, wie ihr Rauch sich bewegt, ob er rollt oder pulsiert, zu erkennen und so einschätzen zu können, ob sie noch in ein Gebäude vordringen können. Für Führungskräfte wie Wywianka und Korte hat in den vergangenen fünf bis zehn Jahren außerdem der bürokratische Aufwand extrem zugenommen, berichten sie.
Dabei kam die Ortsfeuerwehr bereits ohne Lehrgänge, ohne Verwaltungsarbeit, ohne Einsätze und ohne Bereitschaft in 2022 auf 185 Dienste, die sich zu 27.750 Stunden aufsummierten. „Das kann man eigentlich als Ehrenamtlicher nicht mehr leisten – außer man ist völlig begeistert davon“, sagt der Ortsbrandmeister. Sein Stellvertreter nickt: „Der Tag hat nicht genug Stunden.“ Stehe die Familie nicht hinter einem, gehe das schon gar nicht, sind sich die drei Feuerwehrmänner einig. Ihre eigenen Familien täten dies zum Glück.
Mit einem Kommersabend werden die Mitglieder der Ritterhuder Ortsfeuerwehr am 18. August ihr Jubiläum feiern. Für den 27. August ist außerdem ein Tag der offenen Tür in Vorbereitung. Und für den 9. September haben die Brandschützer das Hamme-Forum gemietet. Dann wollen sie die doppelte Null intern feiern.
ZUR SACHE
Wenn die Sirenen schrillen:
Zu den Einsätzen, die die Feuerwehr Ritterhude in 100 Jahren hatte, gehörten auch diese: So fielen am 14. September 1942 die ersten Bomben auf Ritterhude und verursachten einen Brand an der Beekstraße. Während der Löscharbeiten griffen Tiefflieger an.Am 16. Dezember 1943 fielen Kautschuk-Benzol-Bomben auf Ritterhude (Dammstraße). Ein Viehstall wurde getroffen. Kriegsgefangene und Nachbarn retteten 187 von 210 Tieren. Der Einsatz dauerte 24 Stunden, da das Feuer immer wieder aufflackerte. Zu den großen Einsätzen nach Kriegsende zählt das Zugunglück vom 22. Oktober 1954. Um 2 Uhr nachts stießen zwei Güterzüge im Bereich des Ritterhuder Bahnhofs zusammen. Zwei Stunden dauerte es, bis der eingeklemmte Heizer befreit war. In der Nitro-Abteilung der Firma Bergolin brach 1972 ein Feuer aus. 296 Feuerwehrleute hatten nach fünf Stunden das Feuer unter Kontrolle.Am 5. Dezember 1983 kam es zu einer Explosion in der Produktionshalle der Firma G. M. Langer, Stendorfer Straße. Es gab Verpuffungen, starke Rauchentwicklungen und hohe Flammen. Es musste zusätzliches Löschwasser aus Ihlpohl und aus der Hamme geholt werden. Trotzdem konnten die 324 Feuerwehrleute nicht verhindern, dass die meisten Produktions- und Lagerräume ausbrannten. In jüngerer Zeit bekämpften die Ritterhuder einen Großbrand bei der Abfall-Service Osterholz GmbH (Juni 2000) und das Feuer, das das Restaurant Circus Circus (November 2012) zerstörte. Am 9. September 2014 kam es zur Explosion bei Organo Fluid. Mehr als 300 Rettungskräfte kämpften dort gegen die Flammen. Ein weiterer Großbrand hielt die Ritterhuder im September 2018 in Atem: Ein Schiff im Trockendock der Bremer Lürßen-Werft brannte.Trotz dieser und vieler weiterer Lösch-, Rettungs- und Hilfseinsätze der zurückliegenden 100 Jahre in und jenseits der Kreisgrenzen kann Ortsbrandmeister Klaus Wywianka sagen: „Bis heute ist keiner von uns bei einem Einsatz ums Leben gekommen.“
TEXT: Brigitte Lange (Osterholzer Kreisblatt)